TOPS Tage 2018

Grenzverkehr

Zugänge und Ausschlüsse in Gruppen und Organisationen

 

Wer wird aufgenommen, wer gehört dazu, wer fällt raus oder wird ausgeschlossen? Gruppen und Organisationen entwickeln Unterscheidungsmerkmale und bestimmen, wer passt, wer nicht und wer nur ein bisschen. Was als „passend“ gilt, entzieht sich zu guten Teilen der bewussten Steuerung. Das macht es schwer, die viel beschworene Unterschiedlichkeit in der Arbeitswelt zu realisieren. Drinnen zählen „Stallgeruch“ und „Chemie“, denn die Ähnlichkeit verspricht Harmonie und Zusammenhalt. Das „Andere“, das Ungleiche wird gerne nach Außen transportiert oder auf die projiziert, von denen man sich abgrenzt. Der Umgang mit den „Anderen“ ist anstrengend.

Der neue Chef im lange bestehenden Team, die einzige Frau im Männergremium, die Mitarbeiterin, die den Leiter kritisiert, der neue Kollege aus dem fernen Land, der störende Schüler … sie passen nicht ins Bild, sie halten sich nicht an die (ungeschriebenen) Regeln, sind schwer zu verstehen …

Wie können wir Zugangs- und Ausschlussprozesse in Gruppen und Organisationen auf eine Weise verstehen, die den Blick über die beteiligten Personen und ihre Merkmale hinaus auf die sozialen Systeme selbst richtet? Welche Erfahrungen machen Menschen, denen der „richtige“ Habitus fehlt? Welche sozialen Mechanismen sind jeweils wirksam? Wie können wir sie erkennen, um dann auch intervenieren zu können – sei es als Coach, als Führungskraft oder Change Manager, der Prozesse in einer Organisation aufnahmebereiter gestalten soll?

TOPS Tage 2018 - eine kurze Nachlese

Auf dem Wannsee trieben die Eisschollen, aber im Clara-Sahlberg-Haus hatten sich die Tagungsgäste schon bald warmgeredet. Mehr als 90 Teilnehmende und ein gutes Dutzend Referentinnen und Referenten widmeten sich dem Themenkreis „Grenzverkehr. Zugänge und Ausschlüsse in Gruppen und Organisationen“. Wer sich für die Inhalte der Tagung genauer interessiert, sollte sich die Tagungsdokumentation besorgen: Sie wird in Band IV der Zeitschrift „Supervision“ in diesem Jahr zu finden sein (https://www.zeitschrift-supervision.de).


Prof. Dr. Stefan Kühl machte mit seinem Vortrag „Zugänge und Ausschlüsse in Gruppen und Organisationen“ den Auftakt – und strich gleich die „Gruppen“ aus dem Titel. Die würden in Organisationen nämlich keine Rolle spielen. Ein betont mutiger Start in eine Veranstaltung, die von Gruppendynamikerinnen und Gruppendynamikern veranstaltet und von Gleichgesinnten gut besucht wurde. Der humorvolle, tolerante Ton, mit dem Kühl eröffnete, begleitete die TOPS-Tage bis zum Schluss. 
Am Abend wurde es in guter Lewin’scher Tradition experimentell: Susanne Holzbauer zeigte den animierten Kurzfilm „Sog“, in dem Fische und kleine schwarze Männchen aufeinandertreffen. Ein Fischschwarm verfängt sich in den Ästen von Bäumen. Die Fische rufen die Bewohner einer nahen Höhle um Hilfe. Aus dieser Situation entwickelt sich eine Geschichte mit einem unerwartet grausamen Ende. Der Film ist ausgesprochen vieldeutig und lädt vielfach zur Identifikation ein. Diese symbolische Offenheit wurde bei einem Experiment vor Ort dazu genutzt, in kleinen Gruppen Teilgruppen zu erzeugen (Fische vs. Männchen vs. gemischte Teilgruppe). Wie vermutet, wirkte sich selbst diese zeitlich sehr begrenzte und sehr unterschiedlich ausgeprägte Identifikation mit einer der drei Gruppen sofort aus: Die Gruppen schlossen sich anhand des gemeinsamen Merkmals in kürzester Zeit nach außen ab. Das Experiment wurde von einem Wissenschaftler statistisch sauber ausgewertet, am nächsten Morgen gab Susanne Holzbauer die Ergebnisse bekannt.


Der Samstagvormittag gehörte auch sonst der Wissenschaft. Andrea Tippe erläuterte, wie man das Rangpositionenmodell von Raoul Schindler verstehen könne – und wie nicht. Prof. Dr. Sylvia Wilz zeigte an Beispielen der Auswahl von Führungskräften auf, wie soziale Schließung in Organisationen vor sich geht. Schließlich empfahl Dr. Karl Schattenhofer noch eine einschlägige Studie zu „Mobbing und Persönlichkeit“, die ebenfalls in unserer Tagungsdokumentation zu finden sein wird.


Die Workshops am Nachmittag boten ausgesprochen vielfältige Zugänge zum Thema. Die Diskussionen kamen auch deshalb rasch in Gang, weil alle Referentinnen und Referenten ihren Workshops – oft zugespitzte – Hypothesen voranstellten. Zwei Beispiele: „Ob die Projektleitung Zugang zu einem Projektteam findet, wird nicht nur von der Dynamik in der Gruppe, sondern auch von der Dynamik in der Organisation beeinflusst.“ Und: „Diejenigen, die Beratungen und Supervisionen durchführen, tragen eine eigene Verantwortung, was die weitere Zugehörigkeit ihrer Kundinnen und Kunden zu einer Organisation betrifft.“ Die Ergebnisse der Workshops stellten die Arbeitsgruppen am Sonntagvormittag dem Plenum vor. Es spricht für die Fruchtbarkeit der Gespräche in den Workshops, dass dieser Marktplatz der Ideen etwas länger dauerte als geplant.


Dr. Cornelia Edding berichtete am Sonntag aus ihren Gesprächen mit Vorständinnen deutscher Unternehmen über deren prekäre Zugehörigkeit zum männlich dominierten Vorstand. Hier findet, nachdem die Frau es in den Vorstand geschafft hat, eine „zweite Schließung“ statt: Die Vorstandskollegin wird übergangen oder geschnitten.
Den Abschluss gestaltete ausgesprochen unterhaltsam die Journalistin Emilia Smechowski. Sie erzählte, wie sie im Kindesalter als Polin nach Deutschland kam und welche Identitätsfragen sich ihr hier stellten bei dem Versuch, „einen Platz zu finden, an dem man bleiben kann“.